Unser Redebeitrag zu „Genderismus“ gehalten auf der diesjährigen „What the fuck“-Demo am 17.09.
„Seit einigen Jahren beobachten wir vom „What the Fuck“-Bündnis nicht nur besorgt einen antifeministischen Backlash in der Gesellschaft, sondern auch eine zunehmende Verbindung antiemanzipatorischer und rechter Gruppierungen bei dem Thema Antifeminismus.
Die meisten der heute auf dem „Marsch für das Leben“ anwesenden Abtreibungs-Gegner_innen sind christliche Fundamentalist_innen. Wir gehen nicht davon aus, dass heute organisierte Neonazis mit den selbsternannten „Lebensschützer_innen“ auf der Straße laufen – aber wir gehen davon aus, dass Neonazis, christliche Fundamentalist_innen, Neue Rechte und weitere reaktionäre und konservative Kräfte über ihren geteilten Antifeminismus Koalitionen eingehen.
Christliche Fundamentalist_innen kämpfen für eine Gesellschaft, die auf der bürgerlichen Kleinfamilie, Zweigeschlechtlichkeit, Trans*feindlichkeit, einer strengen Sexualmoral, Verbot von Homosexualität und auf »Schicksals«- und Obrigkeitsergebenheit beruht. Mit der Berufung auf „altbewährte“ Normen bieten die Lebensschützer_innen dabei eine einfache Antwort auf Ängste, die insbesondere in Zeiten der sogenannten „Flüchtlingskrise“ laut werden: Ängste vor dem Verlust des eigenen Lebensstandards.
Diese äußern sich dann in der Abneigung von allem „Neuen“, also zum Beispiel der Aufweichung des traditionellen Familienmodells oder der „Überfremdung“ durch Geflüchtete. Assoziiert werden solche Positionen zurecht mit dem rechten Rand der Gesellschaft.
Der Antifeminismus rechter und reaktionärer Kräfte ist dabei teilweise nicht direkt erkennbar, da er sich hinter eine Diffamierung linker Forderungen und Bewegungen versteckt, zum Beispiel wenn gegen die 68er-Bewegung gehetzt wird. Aus Perspektive der Antifeminist_innen stellen der Feminismus und linke Bewegungen also eine Bedrohung der gesellschaftlichen Ordnung dar.
In verschwörungstheoretischer Manier wurde dafür der Begriff „Genderismus“ von rechten, reaktionären und konservativen Protagonist_innen geprägt. Der Genderismus wird dabei, anders als die viel beschworene Islamisierung oder Amerikanisierung, als eine Bedrohung von innen heraus dargestellt. Die Feminist_innen, ein Produkt der 68er, würden das deutsche Volk von innen heraus schwächen, indem sie vermeintliche Selbstverständlichkeiten in Sachen Familie, Sexualität und Geschlechtsidentität hinterfragen. Der Begriff Genderismus ist eine Wortschöpfung, die genutzt wird, um feministische und queere Theorien und Aktivist_innen zu diffamieren. Dabei ist Dreh- und Angelpunkt bei der Angst vor dem Genderismus die Angst vor der Zerstörung der Kleinfamilie: Sie scheint der letzte sichere Rückzugort anständiger Bürger_innen zu sein und wird durch die Feminist_innen (zurecht) angegriffen. Auch hier steht aufgrund des „Genderismus“ eine Erschütterung des altbewährten Familienmodells bevor, auch hier soll entsprechend alles beim guten Alten bleiben: bei dem Familienmodell der „deutschen Leitkultur“ mit ihren konservativen Geschlechter-Rollenbildern. Frauen sollen Männer lieben, Männer sollen Frauen lieben und dabei unter der Decke im Ehebett penetrativen vaginalen Sex haben. Es geht um Reproduktion und nicht um Lustgewinn. Sexuelle Aufklärung wird abgelehnt. Zum Wohl des Volkes und zum Schutz der Kinder. Sichtbar wird die Hetze gegen den Genderismus auch in der Ablehung des Gender-Mainstreamings, obwohl gerade hier binäre Geschlechterbilder staatlich aufrechtgehalten werden. Die Abwehr gegen ein staatliches Konzept ermöglicht es aber, sich selber auf verlorenem Posten in der Minderheit zu sehen. Fantasieren können Antifeminist _innen dann vom – Zitat aus der Jungen Freiheit – „unermüdlichen Werken und Weben der Lobbyisten und Ideologien in der Brüssler Eurokratie“. Aus Perspektive der Antifeminist _innen stellt Gender-Mainstreaming einen Zwang zu Geschlechtlosigkeit dar, die uns alle in den Wahnsinn treibt. Aus sexueller Vielfalt und Gleichberechtigung machen die Antifeminist_innen Chaos und Gewalt. Individualisierung und Ausdifferenzierung in der kapitalistischen Welt erscheinen als Bedrohung, für die es Pappkamerad_innen braucht, gegen die sich gemeinsam kämpfen lässt. Gemeinsam – das geht im Kapitalismus nur nationalistisch, chauvinistisch, antisemitisch und eben antifeministisch.
Wir sind heute hier, weil das Hinterfragen von traditionellen und reaktionären Vorstellungen von Sexualität, Familie, Geschlecht und damit in Zusammenhang stehende Rollenerwartungen Teil unserer alltäglichen politischen Praxis ist.
Der Angst vor dem Genderismus setzen wir unseren Dank für alle bisher geführten feministischen Kämpfe entgegen. Wir knüpfen an diese feministische Tradition an, denn es gilt, weiterzumachen und weiterzukämpfen. Wir antworten auf die rassistischen Stereotypen mit einem antirassistischen, feministischen Kampf.
Auf das reaktionäre Ideal einer eindimensionalen Frau antworten wir mit einer queerfeministischen Bewegung, die solidarisch mit allen Frauen, Lesben, Trans* und Inter*Personen ist, die diese Frau nicht sind oder nicht sein wollen.
Und jetzt nochmal persönliche gegen den Vorsitzenden des Bundesverband für Lebensrecht:
Lieber Herr Lohmann, Sie sagen, Sie sind für das Leben, das mit der Befruchtung der Eizelle beginnt, Sie sind für die Ehe, die nur zwischen Männer und Frauen bestehen kann und das alles, weil es natürlich und gottgegeben sei. Aber lieber Herr Lohmann, genauso wie der giftgrüne Rasen in ihrem schicken Vorgarten nicht natürlich ist, ist es auch Ihr Begriff vom Leben nicht, ist es Ihr Begriff von Familie nicht und erst recht nicht von einer guten Gesellschaft! Herr Lohmann, seien Sie doch nicht naiv, Ihr Sexismus, Ihre Transphobie, Ihre Homophobie, das alles ist menschengemacht, und wir sind heute hier, um zu sagen: Wir haben die besseren Argumente und wir wissen: Es gibt eine Alternative. Weil wir wissen, dass eine queerfeministische Gesellschaft möglich ist und wir dafür kämpfen werden.
Weg mit §218, für den Queerfeminismus!“