28_09_13_Aktionsdemo
Aufruf zur Stadt-Demo am 28.9. // 14 Uhr // Lausitzer Platz

State of the Art

Am 28.9. findet ein bundesweiter Aktionstag statt, der auf die Mietentwicklung und Kommerzialisierung in vielen Städten Deutschlands reagiert und den wachsenden Protest und Widerstand vernetzt. Die Situation in Berlin ist mittlerweile eigentlich allen klar: Menschen mit geringen Einkommen werden konsequent verdrängt, Zwangsräumungen wurden brutal auch gegen Widerstand durchgesetzt und die Wohnungssuche wird zu einer schier unlösbaren Aufgabe. Es hat sich dazu immer mehr gezeigt, wie alltäglicher Rassismus zu Ausgrenzung führt. Das Ziel der städtischen Konflikte sollte deswegen der Bruch mit der kapitalistischen Verwertungslogik und eine städtische Gesellschaft ohne rassistischen Ausschlüsse sein.

Rassismus ist mein Zuhause

Rassismus wird in Berlin immer wieder als bedauerlicher Einzelfall von einigen Unverbesserlichen inszeniert. Der Hitlergruß in Hellersdorf ist aber nicht Ausdruck eines rechten Randes der Gesellschaft sondern Ergebnis einer grundsätzlichen, alltäglichen rassistischen Strukturierung der Stadt. Der Rassismus ist auch in Berlin ständig präsent. Rassistische Diskriminierungen, institutionelle Benachteiligung und das konsequente Verweigern von Rechten durch den Staat, sind Ausdruck davon. Auch die Verdrängung von Mieter*innen hat häufig eine klare rassistische Komponente.

Bei der Vergabe der Wohnungen ist in vielen Fällen ein versteckter Rassismus gegenwärtig, so dass Menschen mit Migrationshintergrund schwieriger eine neue Wohnung finden. Der Rassismus wird von den Nazis nur am konsequentesten vertreten, ist aber als Vorurteilsstruktur in allen gesellschaftlichen Milieus vorhanden, äußert sich allerdings unterschiedlich. Es ist also leider nicht damit getan gegen explizit rassistische Kundgebungen eine nennenswerte Anzahl von Gegendemonstrant*innen zu mobilisieren, sondern die Privilegien der weißen Deutschen müssen grundsätzlich in Frage gestellt und abgebaut werden. Rassistische Ausschlüsse zeigen, dass die blumigen Behauptungen der herrschenden Politik, Berlin sei eine tolerante und weltoffene Stadt, großer Unsinn sind. Zwar sind Tourist*innen mit genug Geld vom Staat gern gesehen, aber Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen nach Berlin kommen wollten oder mussten, werden verfolgt und abgeschoben. Die Situation der besetzten Schule in Kreuzberg, wo sehr viele Menschen auf engstem Raum zusammenleben müssen, zeigt die existenzielle Verzweiflung von Berliner*innen, die neu in der Stadt sind.

Down and out

Durch die neoliberale Umgestaltung der Stadt gibt es immer weniger günstige Wohnungen, um die immer mehr Menschen konkurrieren müssen. Die Konkurrenzsituation trifft auf ein eigenständiges Herrschaftsverhältnis wie Rassismus und bietet den konkurrierenden Menschen eine Erklärung an, wer an ihrer miserablen Lage schuld und wer noch weniger wert sei als sie selbst. Die ideologische Zurichtung des Menschen im Kapitalismus hämmert ihm unaufhörlich ein, dass jeder einzelne Mensch für seine soziale Lage vollständig selbst verantwortlich ist. Wenn ein Mensch in der Konkurrenzsituation unterliegt, wird nicht die Konkurrenzsituation hinterfragt, sondern die Berechtigung des einzelnen Menschen Teil der Gesellschaft zu sein. Jeder einzelne Mensch muss gucken, wo er bleibt. Deswegen wird jede Art von Solidaritätserwartung als Zumutung abgelehnt, die enge Verflechtung des Menschen in die Gesellschaft konsequent verneint.

Die Stadt und der Wohnungsmarkt sind aber nicht nur durch den Kapitalismus geformt, sondern auch durch andere Unterdrückungsformen wie Rassismus, Sexismus oder Nationalismus. Diese eigenständigen Herrschaftsformen bieten einzelnen Personen an, sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen, zum Beispiel als Mann oder als weißer Deutscher, und in dieser in der kapitalistischen Konkurrenz überlebensfähig zu sein. Wenn nun bei städtischen Protesten von einem „Wir“ oder den „Mieter*innen“ die Rede ist, müssen wir selbst überprüfen, wen wir als Teil dieser Gruppe sehen, denn jede Gruppe grenzt Leute aus. Haben nur langjährigige Bewohner*innen von Berlin ein Anrecht auf angemessenen Wohnraum? Verteidigen wir die Privilegien von Altmieter*innen gegen die Neuen, die fremden Zugezogenen? Als radikale, emanzipatorische Linke muss es eine klare Absage gegenüber einer Abschließung von „Berlin“ nach außen geben. Herrschaftsverhältnisse lassen sich nicht mit der Identifizierung von „bösen Menschen“, die an allem schuld sind, abschaffen, sondern nur durch die Umwälzung des herrschaftlich strukturieren Zwangsapparats namens Staat/Ökonomie und der herrschaftlichen Zurichtung eines jeden einzelnen Menschens. Aber es ist für die Zuspitzung des städtischen Protestes auch notwendig, den Konflikt zwischen den Menschen, welche von den kapitalistischen und rassistischen Zuständen profitieren und den Menschen, welche unter ihnen leiden, deutlich zu machen und sich auf die Seite der Benachteiligten zu stellen.

Meine Stadt gibt es nicht

Eine „Stadt für alle“ ist in den bestehenden Herrschaftsverhältnissen nicht zu haben. Da wir aber in der konkreten Situation politisch handeln müssen, stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten antikapitalistischer Stadtpolitik. In der Politik der Parteien bleiben die Menschen immer auf ihre Rolle als Konkurrent*innen verdammt. Die entlang finanzieller Möglichkeiten verlaufenden Hierarchisierungen auf dem Wohnungsmarkt, die reichen Leuten die freie Wahl der Wohnung und des Wohnorts ermöglichen und die arme Menschen an den Rand drängt, gehört zur Natur des kapitalistischen Wohnungsmarktes. Sozialwohnungen für manche und Mietobergrenzen in bestimmten Quartieren ist zwar für die Betroffenen vor Ort eine wichtige Sicherung, lässt aber die grundsätzliche Art und Weise der Wohnungsvermittlung unangetastet. Stattdessen bestätigt dies immer wieder aufs Neue die ordnende und zuweisende Rolle des Staates und des Wohnungsmarktes, der den Leuten durch das Verteilen bestimmter sozialer Quartiere ihren Lebensort geradezu aufzwingt. Bei all diesen Prozessen bleibt die grundsätzliche Trennung der Mieter*innen vom Gegenstand ihres Bedürfnisses, der Wohnung, bestehen. Die Vermittlung der Wohnung über die Größe des Geldbeutels, rassistischer Strukturen oder staatlicher Zwangszuweisungen verweisen auf ein Machtverhältnis, in dem der gesellschaftlich vorhandene Wohnraum außerhalb der Einflussnahme der Mieter*innen steht. Die Auflösung von Privateigentum an Wohnraum ist in diesem Sinne keine veraltete Forderung, sondern vielmehr notwendiger Bestandteil einer Transformation hin zu einer „Stadt für Alle“. Wohnungsmarkt und Privateigentum stellen die Schranken einer Vergesellschaftung von Wohnraum dar.

Das Ziel könnte es sein über den Diskurs über die Warenförmigkeit von Wohnen und anderen elementaren Grundbedürfnissen wie Energie und Gesundheit , die Grundzüge der kapitalistischen Gesellschaft an sich zu hinterfragen und anzufangen die kapitalistische Logik zurückzudrängen. Dass diese Vergesellschaftung alleine wiederum nicht die ultimative Perspektive auf dem Feld von Stadt und Mieten sein kann, ist beispielsweise angesichts der vorherrschenden rassistischen Strukturen der Gesellschaft klar. Für eine Perspektive über die kapitalistische Stadt hinaus ist es dazu von zentraler Bedeutung bei den Kämpfen und Analysen mit zu denken, dass die Stadt nicht am Stadtrand aufhört. Die Stadt ist heute Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen und mittlerweile globalen Arbeitsteilung, die die städtische Struktur entgrenzt. Die Idee von Stadt als einer überschaubaren Einheit, wie sie den stadtpolitischen Kämpfen zugrunde liegt, droht die Stadt aus den gesamtgesellschaftlichen und globalen Herrschaftsverhältnissen heraus zu stellen und bei scheinbar verständlichen aber vereinfachenden Lösungen, wie keine steigende Mieten, zu landen. Aber die Flüchtlingsheime am Stadtrand, die Armutsviertel , die nicht in der Innenstadt liegen, die Landbevölkerung, die die Stadt ressourcenmäßig versorgt und die, metaphorisch gesprochen, elektrischen Leitungen aus China, ohne denen es hier nachts dunkel wäre und mittels derer das globale Proletariat im Dienste des Funktionierens unserer Kieze steht – sie alle arbeiten an der Stadt mit.

Nevertheless…

Die Vernetzung stadtpolitischer Kämpfe in verschiedenen Städten und Ländern stellt eine Möglichkeit dar, die notwendig lokale Bezugnahme der Kämpfe und die systemüberwindende Zielsetzung verstärkt zum Ausdruck zu bringen. Städtische Proteste sind für uns nicht nur Ausdruck eines Einmischens einer Zivilgesellschaft in die Belange ihrer Stadt, sondern weisen häufig eine linksradikale, kapitalismuskritische Komponente auf, welche mehr will, als die Verteidigung des Status quo oder das Erreichen einer bestimmten, begrenzten Forderung. Die Problemlagen im Kapitalismus und der Krise sind dabei unterschiedlich. Zwangsräumungen in Spanien haben eine andere gesellschaftliche Bedeutung als in Berlin und in schrumpfenden Städten im Ruhrgebiet geht es nicht um den rasanten Anstieg von Mieten. Trotzdem sind die Zusammenhänge der städtischen Zustände offensichtlich. Durch die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus wird immer häufiger das Versprechen von „Wohlstand durch Arbeit“ in den kapitalistischen Kernländern des Westens gebrochen. Die Preise für Energie und Miete steigen, während die Löhne sinken oder nicht ansteigen. Gleichzeitig ist weltweit keine organisierte, antagonistische Kraft feststellbar, welche über den spontanen und kurzlebigen Ausbruch von Widersprüchen hinausgeht. Der Kampf im lokalen, gegen steigende Mieten, Zwangsräumung und Rassismus ist somit ein Teil eines Versuchs eine politische Bewegung jenseits der kapitalistischen Zustände zunächst wieder denkbar erscheinen zu lassen. Dieser Kampf sollte die konkreten Hoffnungen auf materielle Verbesserung der Lebensbedingungen mit der grundsätzlichen Idee einer anderen Gesellschaft verbinden.