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In der gegenwärtigen Diskussion um Stadt wird den Tourist_innen eine zentrale Rolle zugeschrieben. Doch wer drück hier eigentlich wem nach welchen Kriterien den Stempel Touri auf? Folgend sollen daher nicht Tourist_innen im stadtpolitischen Kontext analysiert werden. Vielmehr geht es darum den Touri als eine diskursive Konstruktion zu entlarven, die sich völkischer und xenophober Ressentiments bedient.
Seit nicht allzu langer Zeit haben die Berliner_innen einen neuen Feind für sich entdeckt: die Touris. Aus so unterschiedlichen Spektren wie den Berliner Grünen, die eine Veranstaltung unter dem Slogan „Hilfe, die Touris kommen“ abhielten, und einem „linksradikalen“ Aufruf zur Demonstration am 1. Mai, gegen die „Touristenhorden“, die uns „die Hauseingänge vollkotzen“, auf die Straße zu gehen, tönt der Hass auf den Gast von außerhalb und das nicht nur durch die Pulloveraufschrift „Du bist kein Berliner!“. Auf die Spitze getrieben wird das Ganze dann mit Stickern wie jenem zum „Touristen Fisten“.
Auch die eigentlichen Profiteur_innen der Berlinbesucher_innen zeigen sich nicht immer erfreut über die neue Kundschaft. So wurde in der Weserstraße in Neukölln an einer Bar ein Schild mit der Aufschrift „No Entrance for Hipsters from the US“ aufgehängt. Mit knapp 17 Millionen Übernachtungen zwischen Januar und September 2011 in Berlin ist tatsächlich wieder ein neuer Besucher_innen Rekord gefallen. Doch was ist eigentlich so furchtbar an mehr Tourist_innen in der Stadt?
Ein wesentliches Merkmal des Touris ist, dass diese_r nicht „von hier“ ist. Ist er_sie nicht „von hier“, ist er oder sie fremd und damit anscheinend in den Augen der Berliner_innen verdächtig. Verdächtigt wird er_sie unter anderem der Zersetzung des einheimischen Kiezes. Der Touri, so scheint es dem_r xenophoben Anwohner_in, ist Schuld an der Preiserhöhung in der Lieblingskneipe, oder am Dichtmachen des Tante Emma Ladens und der anschließenden Eröffnung der Cocktail-Bar.1 Offensichtlich wird hier eine extrem einfache und daher sehr bequeme Dichotomie aufgebaut: „Wir“ die hier schon lange (?) wohnen gegen „die Fremden“ die auch noch nur für kurze Zeit herkommen und „unser Habitat“ ruinieren.
Diesen „Fremden“ werden bestimmte Merkmale zugeordnet. Zum einen scheinen sie nicht sonderlich intelligent, sondern eher oberflächlich zu sein. Denn meist wird mit einem von Tourist_innen besuchten Ortes die Herabsetzung der kulturellen Qualität dieses Ortes verbunden. Jene „linksradikalen“ Aufrufer_innen meinen, den Tourist_innen gehe es in erster Linie um Alkoholkonsum mit anschließender Distribution des Mageninhaltes in den heimatlichen Kiez. Der zitierte Neuköllner Barbesitzer unterstellt anscheinend besonders US-Amerikanischen Besucher_innen eine einseitige Fokussierung auf den individuellen Style, der nicht zur „Echtheit“ des Kiezes passt. Ähnlich stumpfsinnig äußert sich der Chef der Vermarktungsgesellschaft VisitBerlin, der vor einer „Profanisierung“ und „Disneysierung“ warnt, während sich die Kulturpolitikerin der CDU Monika Grütters sich gegen verkleidete Soldaten am Checkpoint Charlie ausspricht. Auch das Stempeln von Pässen mit DDR-Visastempeln an der Berliner Mauer steht ihrer Meinung nach einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der ach so schweren deutschen Teilung entgegen.2 Die Botschaft ist klar: Der dumme, oberflächliche Touri gefährdet unsere deutsche Hochkultur!
Doch woher wissen die selbsternannten Tourismuskritiker_innen wer Touri ist und wer nicht? Wie sieht mensch jemanden auf der Straße an, dass die Person nicht „von hier“ und auch nur kurze Zeit hier ist? Ein solche Einordnung ist schlichtweg unmöglich. So behilft sich manche_r Berliner_in mit der Erkennung der Sprache. Spricht die gesichtete Person zufällig Englisch, Spanisch oder Italienisch, wird die Touri-Schublade im Kopf aufgerissen und die betreffende Person nebst eventuellen Begleiter_innen darin verstaut. Und wenn sich herausstellt, dass die Menschen, die jene Sprachen sprechen, häufig schon sehr lange in Berlin wohnen, wird die Kategorie des Touris kurzerhand erweitert: Nun sind sie „Dauertourist_innen“.3 Dass es sich dabei um ein vollkommen sinnentleertes Oxymoron handelt, macht deutlich, dass es bei der Touri-Zuschreibung oft lediglich um völkisches Ressentiment gegen einen als bedrohlich empfundenen Kosmopolitismus geht.
Selbstverständlich gehört das Phänomen des Tourismus als Teil kapitalistischer Kulturindustrie kritisch betrachtet. Doch darum geht es im herrschenden Diskurs leider nicht. Denn sollte dies das Ziel sein, so wäre gerade aus „der“ Linken eine Auseinandersetzung mit dem Tourismus der Deutschen, die sich Jahr für Jahr als Reiseweltmeister_innen abfeiern, und deren Verhalten an den Reiseorten, wünschenswert. Oder, um ein weiteres Beispiel zu nennen, mit der Rolle des alternativen Individualtourismus (z.B.: das „Backpackertum“) als Wegbereiter der westlich-kapitalistischen Tourismusindustrie. Aber anstatt die bestehenden Verhältnisse zu hinterfragen, werden Probleme lieber „den Fremden“ zugeordnet.
In the recent discussion about the city a key role is assigned to tourists. But who is it that sets the criteria who is to become a Touri? The following will not be an analysis of tourists in the context of city politics. The Touri will rather be identified as a discursive construction which follows racial and xenophobic resentments.
Not so long ago Berlin people have discovered a new enemy for themselves: the Touris. Different spectra, like the Berlin Green party who held a meeting under the slogan „Help, the Touris are coming“ and a „left radical“ call for a manifestation at May 1st against „Hords of Touris“ who „puke into our house entrances“, present their hate for the guest from outside not only with the pullover inscription „You are not a Berliner!“. It is carried to extremes by with stickers like „Fist the Tourist“. Even those profiting from visitors to Berlin are not always happy about new customers. A bar in Weserstr. in Neukölln hang a sign saying „No entrance for Hipsters from the US“. With nearly 17 million accomodations between January and September 2011 Berlin has indeed fallen a new visitors record. But what is so awful about Touris in the city?
One essential characteristic of a Touri is that he_she is not „from here“. Is he_she not „from here“ then he or she is strange and with that obviously in the eyes of the Berliner suspicious. He_she is a suspect to disintegrate the native neighborhood. The Touri, so appears it the the xenophobic resident, is to be blamed for the price raising in the favorit pub, or for the closing of the small shop and the subsequent opening of a cocktail bar. Obviously an extremely simple and therefore convenient dichotomy is constructed: „We“ who have lived here for a long (?) time against the „strangers“ who only come here for a short time to ruin „our habitat“.
Certain characteristics can be asscribed to these „strangers“. They do not seem to be very intelligent, but rather superficial. Because often a the cultural downgrading of a certain place is correlated with a Touri visiting this place. Those „left radical“ callers think the Touris want in the first place to consume alcohol and afterwards distribute their stomach contents to the local neighborhood. The quoted Neukölln bar owner implies especially visitors from the US a one sided focus on their indiviual style which does not contribute to the „authenticity“ of the their local neighborhood. Similarly blockheaded comments the head of the marketing company VisitBerlin on the topic. He warns of a „profanisation“ and „disneyisation“ while the Monika Grütters, a CDU politician specialized in culture, speaks out against people dressed up as soldiers at Checkpoint Charlie and the stamping of passports with GDR visa stamps at the Berlin Wall. In her opinion this opposes a serious debate on the oh so difficult German division. The message is clear: The stupid, superficial Touri endangers our German high culture! But how the self-constituted Touri critics know who is a Touri and who is not? How do you assign somebody in the street to be not „from here“? Such classification is simply impossible. So people from Berlin use language. If the sighted person by chance speaks English, Spanish or Italian they are identified as Touris. And if they turn out to have lived in Berlin for a long time, the category for Touris is quickly widened: Now they are „constant Touris“. This oxymoron makes clear that the Touri-assignment is often a racial resentment against a cosmopolitanism sensed as threatening.
The phenomena of tourism as part of a capitalistic industry of culture has to of course be considered critically. But this is unfortunatly not what the prevalent discussion is about. Because if that was the goal, a debate coming from „the“ left about German tourism, who celebrate themselves as traveling world champions, an their behaviour at the travel destinies, would be desirable. Or, to name a further example, the role of alternative individual tourism (e.g. „backpacking“) as a pioneer of Western capitalist tourism industry. But instead of questioning the existing conditions, problems a rather assigned to „the strangers“.