79 Jahre nach der Reichspogromnacht Solidarität mit den Opfern des deutschen Antisemitismus und Rassismus. Um 17 Uhr am Mahnmal in der Levetzowstraße in Moabit: Gedenkkundgebung und antifaschistische Demonstration.
Je weiter ich Richtung Ku’damm ging, desto mehr Menschen waren auf der Straße. Auf einmal knirschten Glasscherben unter meinen Schuhen. Als ich mich umsah, bemerkte ich, dass die Fenster aller jüdischen Geschäfte eingeschlagen waren. Vor einem Laden standen drei SA-Männer und schauten unbeteiligt ins Leere. Ich erinnere mich, dass sie in diesem Moment nichts Menschliches an sich hatten. Ich sah zu Boden und ging weiter. Ich wollte wissen, was geschehen war – obwohl ich das Gefühl hatte, dass mein Leben vorbei wäre, wenn unsere Blicke sich treffen würden.
So beschrieb Margot Friedländer den 10. November 1938. Ihre Mutter und ihr Bruder wurden in Auschwitz ermordet; sie selbst überlebte die Shoah trotz Inhaftierung im Konzentrationslager Theresienstadt. Das Bild der Zerstörung, das sie zeichnet lässt erahnen, von welcher Gewalt die Nacht davor geprägt war. Am 9. November 1938 fanden die Novemberpogrome ihren Höhepunkt. In dem deutschen Herrschaftsbereich wurden jüdische Menschen ermordet, vergewaltigt, inhaftiert und verschleppt. Jüdische Geschäfte, Wohnungen, Gemeindehäuser und Synagogen wurden geplündert, zerstört und in Brand gesteckt. Auf den Straßen brach sich der gewalttätige deutsche Antisemitismus Bahn, der in der Nacht staat- lich angestoßen und orchestriert wurde. SA und SS führten die Morde, Brandstiftungen und Verwüstungen an. Die nicht-jüdische Bevölkerung beteiligte sich an dem Pogrom oder stimmte mit ihrem Schweigen zu. Zum Anlass nahm die NSDAP-Führung die Tötung eines deutschen Botschaftsangehörigen in Paris. Herschel Grynszpan, der aufgrund des deutschen Antisemitismus nach Frankreich migriert war, gab mehrere Schüsse auf das Botschaftsmitglied ab, nachdem er von der Deportation seiner Familie nach Polen erfahren hatte.
Auftakt zur Vernichtung
Insgesamt wurden in den Tagen um den 9. November 1.300 Jüdinnen*Juden ermordet, über die Hälfte der Gebetshäuser und Synagogen in Deutschland und Österreich wurden zerstört. Ab dem 10.November erfolgte die Deportation von 30.000 Jüdinnen*Juden in Konzentrationslager. Die Pogrome waren der Auftakt zur Vernichtung. Bis zum 9. November 1938 hatte das nationalsozialistische Deutschland Jüdinnen*Juden Schritt für Schritt aus der Gesellschaft ausgegrenzt: mit Berufsverboten, Ausschluss aus den Universitäten, später mit den „Nürnberger Rassegesetzen“ sowie der „Arisierung“ jüdischer Unternehmen. Mit dem Überfall Deutschlands auf Polen 1939 begann die NS-Eroberungspolitik. Hinter den Truppen der Wehrmacht in Osteuropa folgten die deutschen Einsatzgruppen, die in Massenerschießungen Kommunist*innen und andere politische Gegner*innen, Jüdinnen*Juden, Rom*nja, Sinti*zza und andere als „Volksfeinde“ markierte Menschen, ermordeten. Osteuropa sollte als „Lebensraum“ „germanisiert“ werden. Die NS-Vernichtungspolitik gipfelte in der Shoah, dem industriellen Massenmord: Bis 1945 ermordeten die Deutschen sechs Millionen Jüdinnen*Juden. Continue reading „Aufruf zur Gedenkdemo am 9. November“