In einer Zeit in der wir am meisten nach dem Leben verlangten, kam der Tod über uns

Der folgende Text ist Teil unseres Dossiers zu internationalen Perspektiven und Solidarität in der Corona-Krise.

Statement von Jordí (Chile)

In Chile erinnern wir uns jeden 18. des Monats an den politischen Aufstand, der am 18. Oktober 2019 begann, ein Datum, an dem der Wunsch zu leben geweckt wurde und das Glück um die Barrikaden herum verweilte. Die Zeit verging, der Straßenwiderstand wurde Tag für Tag aufrechterhalten und übertraf die Erwartungen des hoffnungsvollsten Revolutionärs. Der März kam als ein wichtiger Monat für den Aufstand, es gab viele Aufrufe zu nationalen Märschen und Streiks. Anfang dieses Monats erfuhren wir etwas über ein Virus in Europa. Innerhalb weniger Wochen traten die ersten Fälle in den wohlhabenden Vierteln der Hauptstadt und bei europäischen Touristen im Süden Chiles auf. Continue reading „In einer Zeit in der wir am meisten nach dem Leben verlangten, kam der Tod über uns“

Ninguém fica para trás – Niemand wird zurückgelassen

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Statement von „Ninguém fica para trás“ (Niemand wird zurückgelassen) aus Portugal

In Portugal verhängte die Regierung aufgrund der Covid-19-Pandemie zwischen dem 18. März und dem 2. Mai 2020 den Ausnahmezustand. Dieser Ausnahmezustand beinhaltete die Schließung mehrerer öffentlicher und privater Einrichtungen und Räume, wo sich zu viele Personen auf einmal treffen konnten. Schreibwarengeschäfte, Cafés und Restaurants, Postämter, Apotheken, Krankenhäuser und Gesundheitszentren, Supermärkte, Lebensmittelgeschäfte und Banken blieben geöffnet. Im Grunde konnten alle Orte, die für die Bevölkerung lebenswichtige Dienstleistungen erbringen, offen bleiben.

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Eine globale Krise, die den Wunsch beschleunigt, sich auf lokaler Ebene zu organisieren

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Statement von Flavien (Montreuil, Frankreich)

Ich lebe in einer kleinen Wohnung in Montreuil, einer Stadt mit 110.000 Einwohnern östlich von Paris. Ich persönlich kann im Homeoffice arbeiten, sodass meine Situation recht erträglich ist.

Ich kann meinen Standpunkt zu den gegenwärtigen Regierungsmaßnahmen in Frankreich darlegen. Ich denke, dass sie insgesamt katastrophal sind und in Zukunft ihre Spuren hinterlassen werden. Es würde zu lange dauern, all die Umkehrungen und Widersprüche im offiziellen Diskurs der Behörden zu wiederholen, aber einige Beispiele möchte ich nennen. Zunächst einmal gab es bis Mitte März einen beruhigenden, ja sogar herablassenden Diskurs gegenüber den betroffenen Ländern, so etwa „China ist weit weg“ und „Italien mag zwar nahe sein, aber sie sind viel schlechter organisiert als wir“. Offensichtlich war das völlig absurd und Frankreich war durchaus davon betroffen. Continue reading „Eine globale Krise, die den Wunsch beschleunigt, sich auf lokaler Ebene zu organisieren“

Wenn mir das Ende 2019 jemand gesagt hätte, hätte ich die Person für verrückt gehalten

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Statement von Mila (Bologna/Italien)

Wenn mir Ende 2019 jemand gesagt hätte, dass in wenigen Monaten die ganze Welt wegen einer globalen Epidemie stehen bleiben würde, hätte ich die Person für verrückt gehalten. Wenn mir Ende 2019 jemand gesagt hätte, dass sich in nur 3 Monaten unsere Kultur, Gesellschaft, Wirtschaft, Ökologie, die Art und Weise, wie wir arbeiten, uns mitteilen und zusammen leben, radikal verändert hätte, hätte ich die Person gefragt, von welcher Fernsehserie sie spricht.

Und stattdessen ist es nun Realität. Das ist die Situation. Continue reading „Wenn mir das Ende 2019 jemand gesagt hätte, hätte ich die Person für verrückt gehalten“

Es ist also ein Privileg in Quarantäne zu gehen

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Statement von Basti (Santiago de Chile/Chile)

Meine Familie und ich sind in “freiwilliger” Quarantäne. Ich bin Asthmatiker, also treffen wir die notwendigen Vorkehrungen. Niemand verlässt das Haus und wir bekommen keinen Besuch. Ich mache von morgens bis nachmittags online Kurse [für die Universtität], bin also immer beschäftigt. Allerdings bin ich nicht so gut gelaunt, nachts kann ich nur schwer schlafen (ich vermute wegen “der Angst”). Continue reading „Es ist also ein Privileg in Quarantäne zu gehen“

Keine/r* fragt mich: Was hast du als nächstes vor?

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Statement von Silvia (Rigali/Mailand/Italien)

Ich heiße Silvia, bin 29 Jahre alt und lebe normalerweise in Mailand, wo ich im Publikations- und Kommunikationsbereich arbeite. Ich sage betont “normalerweise”, weil mein Leben im Moment tatsächlich kein bisschen normal ist: Ich bin im Haus meiner Mutter auf dem Land, wo ich herkomme, und verbringe den ganzen Tag allein oder mit ihr; ich gehe spazieren; ich male; ich schreibe; ich telefoniere manchmal mit Freund*innen; ich versuche gesunde Sachen zu kochen – aber ohne Arbeit, ohne sozialen Druck, keine/r* fragt mich “Was hast du als nächstes vor? Was sind deine langfristigen Projekte?” Ja, das ist sicherlich kein normales Leben, wie wir es kannten, aber ich bin mir auch nicht sicher, ob ich, wenn der Ausnahmezustand vorbei ist, einfach wieder zu meiner Routine zurückkehren möchte, inklusive meiner Sorgen über den Job, die Bezahlung usw. Das ist kein normales Leben, bestimmt nicht, aber auch die Art von Leben, die wir vorher, im Rahmen unserer turbokapitalistischen Zeit ausprobiert haben, war überhaupt nicht normal. Davor sollten wir nicht die Augen verschließen. Continue reading „Keine/r* fragt mich: Was hast du als nächstes vor?“

Die Menschen werden vollkommen passiviert

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Statement von François (Paris/Frankreich)

Der französische Umgang mit der Corona-Krise bringt zwei längerfristige, sehr problematische politischen Tendenzen zum Ausdruck. Continue reading „Die Menschen werden vollkommen passiviert“

Der Notstand in den öffentlichen Krankenhäusern explodiert gerade vor unseren Augen

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Statement von Camélia, 64 (Toulouse/Frankreich)

Ich persönlich erlebe die Ausgangssperre mit Gelassenheit dank meiner guten Wohn- und Lebensbedingungen mit einem guten Umfeld aus meiner Familie und Freund*innen; ich respektiere die gesetzlichen Anweisungen in einer drastischen Weise, ich gehe nur einmal pro Woche zum Einkaufen raus. Jeden Abend treffen sich die Nachbar*innen der beiden gegenüberliegenden Gebäude auf den Balkonen, um Musik zu spielen oder zu hören, zu tanzen und den Pflegekräften zu applaudieren.

Was das Handeln der Regierung betrifft, bin ich sehr kritisch: Continue reading „Der Notstand in den öffentlichen Krankenhäusern explodiert gerade vor unseren Augen“

Soziale Isolation muss auch in Zukunft verhindert werden

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Statement von Enrico (Forlì/Italien)

In Italien hat sich unser Leben am 9. März grundlegend verändert. An diesem Tag wurde der „DPCM“ veröffentlicht (ein Erlass des Premierministers, ein gesetzgeberisches Notfallinstrument, das das Parlament umgeht), mit dem viele individuelle Freiheiten, die wir alle für selbstverständlich hielten, außer Kraft gesetzt wurden. Continue reading „Soziale Isolation muss auch in Zukunft verhindert werden“